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Nackt unterwegs

Aktualisiert: 4. Juli 2023



Foto: Antje Nikola Mönning


„Nacktheit ist natürlich“ – das war das Motto verschiedener Aktionen, mit denen das Akt-Model Torsten und ich am Samstag in Köln zeigen wollten, dass Nacktheit weder eine Einladung zu Übergriffigkeiten bedeutet noch selbst eine Übergriffigkeit darstellt – solange sich alle Beteiligten respektvoll verhalten.

Denn insbesondere männliche Nacktheit wird leider viel zu häufig mit Sexualität oder Übergriffigkeit verknüpft. Dabei kann sie auch einfach Ausdruck eines Freiheitsgefühls sein, besonders, „wenn man sich nackt in freier Natur bewegt“, so Tosten, der neben seiner Tätigkeit als Akt-Model auch gerne nackt wandern geht.

Doch in den letzten Jahrzehnten wurden Nacktheit und insbesondere nackte weibliche Brüste so massiv sexualisiert, dass nackte Frauen automatisch zu Sexobjekten degradiert werden, während nackte Männer sofort mit einem Triebtäter assoziiert werden.

Zeit, diese Seh- und Denkgewohnheiten in Frage zu stellen und mit den gängigen Vorurteilen zu brechen.

Für alle, die das vergessen haben sollten: Nacktheit ist etwas Natürliches. Wir kommen schließlich alle nackt zur Welt. Nacktheit ist ein Zustand und keine Tat. Und Nacktheit ist generell erst einmal nicht verboten und wird nur dann mit einem Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit geahndet, wenn jemand sich erkennbar durch die Nacktheit anderer Menschen belästigt fühlt.

Da unsere Aktionen ja kein Akt der Provokation, sondern eine Einladung zur Kommunikation sein sollten, haben wir die Menschen einfach um ihre Meinung gebeten – und um ihr Einverständnis. Sobald sich jemand beschweren würde, würde Torsten sich etwas anziehen, so hatten wir es vorher besprochen. Ich selbst wollte angezogen bleiben und unsere erste Aktion dokumentarisch begleiten.

Wie positiv die Reaktionen dann ausfielen, hat selbst mich überrascht.

Aber von vorn.


Nackt unterwegs in Köln als Mann


Als Torsten und ich am Samstagmorgen im strömenden Regen bei der Hohenzollernbrücke ankommen, ist dort kaum etwas los. Perfekt, um mit einer kleinen Aktion zu beginnen. Torsten möchte nackt über die Fußgängerbrücke laufen, um zu zeigen, dass auch ein nackter Mann sich anständig benehmen kann und nicht gleich ein Triebtäter ist. Während ich noch meine Kamera aufbaue, begegnen uns schon die ersten Reisenden, die mit ihren Koffern in Richtung Hauptbahnhof laufen.

„Würde es euch etwas ausmachen, wenn Torsten sich nackt auszieht und für ein Fotoprojekt hier entlangläuft?“, frage ich ein jüngeres Pärchen.

„Nee, überhaupt nicht“, antworten diese lapidar. Auch die allein reisenden Frauen, die danach eintrudeln, haben kein Problem damit. Also zieht Torsten nur mit einem roten Regenschirm bekleidet über die Brücke – und kehrt um, als sich weitere Menschen nähern.

„Ist das für Sie ein Problem, wenn ich Torsten hier nackt fotografiere?“, frage ich das neu hinzugekommene ältere Ehepaar.

„Nein“, meint die Frau im tiefsten Kölsch. „Ich habe gerade Blumen gekauft. Möchtet ihr eine fürs Foto haben?“

„Gerne“, sage ich und lichte den nackten Torsten mit der Blume ab, woraufhin sich die Frau winkend verabschiedet.

Während ich noch versuche, meine Kamera durch einen Regenschirm zu schützen, stürmt auf einmal eine ganze Gruppe junger Frauen auf uns zu: Junggesellinnen-Abschied!

„Ist der nackte Mann extra für uns gekommen?“, fragt eine der Frauen sichtlich erfreut.

„Klar“, meine ich und denke: Wahnsinn! Das ist jetzt echt wie im Film.

Die Frauen sind ganz aus dem Häuschen, lassen sich mit Torsten fotografieren und fragen uns nach den Hintergründen.

„Finde ich gut“, meint die Braut, nachdem wir erklärt haben, worum es uns geht.

Seltsamerweise ist Nacktheit in der Werbung, in diversen TV-Formaten oder in FKK-„Reservaten“ ja gesellschaftlich akzeptiert, während öffentliche Nacktheit sofort für einen medialen Wirbel sorgt. Meistens benutzen die Gegner öffentlicher Nacktheit dann das Argument der Ästhetik (- oder das der Kinder, obwohl Kinder nachweislich kein Problem mit Nacktheit haben). Ge- oder Verbote in Bezug auf Nacktheit sollten und dürfen auf jeden Fall keine Frage von Ästhetik oder individuellem Geschmack sein. Deswegen finde ich sogar, dass wir viel mehr Menschen natürlich nackt sehen sollten. Vielleicht würden wir dann aufhören, unsere eigenen Körper mit den „normschönen“ Körpern aus der Werbung zu vergleichen. Und könnten insgesamt lockerer mit Nacktheit umgehen, ohne diese sofort zu sexualisieren.


Oben ohne Schwimmen als Frau - meine ganz persönliche Erfahrung


Denn als ich ein paar Tage zuvor auf meinen Social Media-Kanälen angekündigt hatte, demnächst auch einmal als Frau „oben ohne“ in einem Schwimmbad schwimmen zu gehen, wo dies diskriminierungsfrei möglich ist (wie in allen Kölnbädern), war ich doch ziemlich erschrocken, wie heftig die Reaktionen darauf teilweise ausfielen.

Das Erstaunliche daran war: Die meisten negativen Kommentare kamen von Männern, die erst einmal pauschal allen anderen Männern unterstellten, sich beim Anblick einer Frau mit nackten Brüsten nicht beherrschen zu können. So nach dem Motto: „Dann dürft ihr euch nicht wundern, wenn ihr vergewaltigt werdet.“ Aber erstens ist das Täter-Opfer-Umkehr und zweitens kenne ich viele Männer, die sich sehr gut beherrschen können. Ich stelle generell keine Gruppen von Menschen unter Generalverdacht. Auch Männer nicht.

Deswegen geht es nach der Aktion an der Hohenzollernbrücke direkt weiter ins Lentpark-Bad. Jetzt möchte ich selbst ausprobieren, wie es sich für mich als Frau anfühlt, in einem Hallenbad oben ohne schwimmen zu gehen. Und siehe da: Niemand starrt mich an, fasst mich an oder beschimpft mich. Genau das habe ich mir gewünscht – dass eine Frau, die oben ohne schwimmen geht, so „normal“ für alle Anwesenden ist, dass niemand überhaupt reagiert.


Nackt unterwegs in Köln: Geschlecht egal


Nackt Essen gehen im Restaurant Lütticher in Köln - dank eines netten Besitzers und offenherziger Gäste kein Problem


Doch dann kommt mein absolutes Highlight: Der nette Besitzer des Restaurants „Lütticher“ erklärt sich nach höflicher Anfrage von Torsten damit einverstanden, uns nackt bei sich essen zu lassen! Natürlich nur, wenn seine Gäste einverstanden sind. Vorsichtshalber fragt er sie gleich selbst.

Und weil die Gäste genauso locker sind, wie sich Köln heute den ganzen Tag präsentiert hat, dürfen wir nackt Platz nehmen und stürzen uns begeistert auf die Speisekarte.

Schon nach einer Minute kommen wir mit den an den umliegenden Tischen sitzenden Gästen ins Gespräch.

Während Gäste normalerweise unter sich bleiben, entwickelt sich hier eine lebhafte Diskussion über Toleranz, Offenheit und die Fähigkeit, andere Menschen auch einfach mal so sein zu lassen, wie sie sind – selbst wenn wir manchmal nichts damit anfangen können, wie sie sich kleiden, welche Religion sie ausüben oder welche Art der Sexualität sie ausleben.

Denn es ist leicht, tolerant zu sein, wenn wir alle derselben Meinung sind. Aber Toleranz bedeutet eben vor allem, andere Meinungen, Werte oder Lebensweisen auszuhalten, selbst wenn sie uns nicht gefallen.



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