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Als ich es einmal wagte, das Gendersternchen zu benutzen.....

Aktualisiert: 6. Okt. 2021

Über Gleichberechtigung, Männerängste und die "Meinungspolizei"


Ja, ich gestehe: Ich habe etwas sehr Schlimmes getan. So schlimm, dass sich viele Männer enttäuscht von mir abwandten. Mich anklagten. Mich beschimpften.


Nein, ich habe keinen Mord begangen. Auch wenn es sich gerade ein wenig so anfühlt. Ich habe es lediglich gewagt, das Gendersternchen zu benutzen!

Wie ihr seht, gendere ich hier nicht. Schlichtweg deswegen, weil es nicht nötig ist. Denn es waren ausschließlich Männer, die sich über den Gebrauch meiner Sprache beschwerten. Und zwar Männer, die sich bis auf eine lobenswerte Ausnahme bisher noch nicht besonders für einen korrekten Umgang mit unserer schönen Sprache eingesetzt hatten.

Männer, für die es wieder einmal nicht im Geringsten um mein eigentliches Thema, nämlich den Appell an die Politik, endlich den § 218 abzuschaffen, ging.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich schlage mich nicht auf die derzeit beliebte Seite derer, die gerne dem „alten weißen cis- Mann“ für alles die Schuld geben.

Aber ich gebe zu, dass es mich fasziniert, mit welcher Vehemenz sich gerade Männer ab meiner Generation aufwärts gegen das Gendersternchen wehren. Es scheint fast so, als würde der Versuch, Gleichberechtigung in der Sprache sichtbar zu machen, an uralte Männerängste rühren. Keine Ahnung, an welche. Denn es will euch doch niemand etwas wegnehmen!

Im Gegenteil: die Forderung nach Gleichberechtigung bedeutet auch, dass zum Beispiel Männer nicht sofort als Triebtäter angesehen werden sollten, wenn sie einmal nackt sind. Der sogenannte Exhibitionismus-Paragraf § 183 gehört abgeschafft, weil er Männer allein aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert.

Was mich wirklich belustigt, sind die Hauptargumente gegen das Gendern: Das Gendern würde die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, das Gendern würde uns aufgezwängt und sei dogmatisch.

Es ist ein Phänomen, dass genau diejenigen, die immer schreien, man dürfe ja nichts mehr sagen, sonst würde man gleich als Nazi abgestempelt, offenbar wenig Probleme damit haben, andere Menschen abzustempeln. Als „Meinungspolizisten“ zum Beispiel. Oder als „links-grün“ versifftes Pack. Ich zum Beispiel habe weder die Linken noch die Grünen gewählt. Die CDU und die AFD allerdings auch nicht. Mein Herz schlägt eher für soziale, gesellschaftliche und liberale Themen. (Und für Tiere.) Im Grunde genommen bin ich überhaupt kein besonders politischer Mensch.

Nur hat die Benutzung des Gendersternchens für mich etwas mit Liberalität zu tun. Denn ob wir das Gendersternchen benutzen wollen, sollte unsere freie Entscheidung sein und bleiben. Es sollte niemandem aufgezwungen, aber auch nicht verboten werden.

Ich habe übrigens noch nie versucht, anderen meine Meinung aufzuzwängen. Ich höre zu und versuche zu verstehen. Aber ich habe meine eigene Meinung und kann diese sehr klar ausdrücken. Akzeptiere ich andere Meinungen? Auf jeden Fall! Finde ich sie alle gut? Natürlich nicht! Kann ich akzeptieren, wenn Menschen mit meinen Ansichten nicht d’accord gehen? Aber sicher!

Es liegt eine gewisse Ironie in dem Fakt, dass genau diejenigen, die anderen Menschen Dogmatismus vorwerfen, äußerst dogmatisch vorgehen, wenn sie anderen das Gendern kategorisch austreiben wollen.

Und dass diejenigen, die die Spaltung der Gesellschaft beklagen, hier massiv Spaltung betreiben. Weil sie eine andere Einstellung als die ihrige offenbar nicht zulassen können.

Wie hatte ich es so schön - ja, hier muss ich mich unbedingt selbst loben! – in meinem Nonnen-RÄP ausgedrückt?

„Wir sind alle tolerant, solange wir einer Meinung sind.“

Sehr richtig, Antje.

Leben und leben lassen.

Allerdings hat es die Fraktion der Gender-Gegner tatsächlich geschafft, das Gendern so mit „Verboten“ und „Zwang“ zu verknüpfen, dass selbst Annalena Baerbock im ersten Triell auf einmal fast ausschließlich das generische Maskulinum benutzte, während ausgerechnet ein Mann, nämlich Olaf Scholz, die Miteinbeziehung des weiblichen Teils der Bevölkerung offenbar schon seit Jahren so verinnerlicht hat, dass „Bürgerinnen“ und „Bürger“ genau gleich klangen und ich mich zunächst fragte, warum er das gleiche Wort immer zweimal hintereinander benutzt.

Und die jüngeren Männer, die sich in den verschiedenen Wahlkampfarenen zu Wort meldeten, setzten die kleine Pause zwischen dem männlichen Wortstamm und den weiblichen Nachsilben bereits mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es mich wirklich überraschte.

Ich möchte hier einmal darauf hinweisen, dass ich schon seit Jahren eine geschlechtsneutrale Sprache benutze, und zwar sehr bewusst. Denn nur wenn wir Gleichberechtigung im Denken verankern, werden wir fairer miteinander umgehen. Dann wird es vielleicht auch irgendwann kein gender pay gap mehr geben. Dann werden vielleicht auch irgendwann Politiker damit aufhören, ihre Kolleginnen hinterhältig – freundlich wie Söder oder altväterlich wie dereinst Helmut Kohl mit dem Subtext abzufertigen: „Schön, dass du gesprochen hast, aber jetzt erklärt dir mal ein Mann, wie Politik geht.“ Und dann wird vielleicht auch irgendwann nicht mehr über das Aussehen von Frauen in leitenden Positionen gesprochen, sondern über das, was sie tun.

Sprache formt das Denken. Und das Denken bestimmt das Handeln. Es gibt einen sehr guten Spruch dazu, und er ist leider angesichts der Tatsache, dass vor kurzem ein junger Mann ermordet wurde, nur weil er einen anderen Mann darum bat, sich an die Maskenpflicht in der Tankstelle zu halten, aktueller denn je:

„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“ (Von Charles Reade.)

Hass und Hetze in der Sprache führen zu einem Gewaltanstieg, das ist inzwischen deutlich geworden. Ich frage mich schon seit langem, was eigentlich mit unserer Gesellschaft los ist. Ein FDP - Politiker initiierte nach dem rechtsextremen Terroranschlag in Hanau „Vielfalt – Parkplätze“, also Parkplätze, an deren Wand ein Regenbogenbanner gemalt wurde, um ein Zeichen zu setzen, mehr nicht. Trotz gegenteiliger Berichterstattung dürfen weiterhin alle Menschen auf diesen Parkplätzen parken. Aber mal wieder weht der Geist der Empörung durch unsere Republik, und es ist ein sehr gefährlicher Geist, weil er resistent gegenüber Fakten und Vernunft zu sein scheint. Hauptsache, man kann sich empören über „die da oben, die uns ihre Meinung aufzwängen wollen.“

Interessanterweise bin ich übrigens noch nie von den sogenannten „Meinungspolizisten“ wegen des Nichtgebrauchs des Gendersternchens beschimpft worden. Ja, sie haben mich nicht einmal angesprochen und mich auf das Begehen einer Straftat hingewiesen, wie es gute Polizisten doch tun sollten!

Dabei benutze ich das Gendersternchen eher selten, weil es mir persönlich ein zu großes Gewicht auf das Geschlecht legt. Und da es oft um ganz andere Dinge geht als das Geschlecht, finde ich diese Gewichtung nicht immer richtig, sondern manchmal eher der Sache abträglich. Es gibt andere Wege, um geschlechtsneutral zu schreiben, und nein: damit meine ich nicht das generische Maskulinum.

WENN es aber um eine Sache geht, die sich eindeutig mit Missverhältnissen zwischen den Geschlechtern oder um Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geht, dann finde ich es richtig und wichtig, die Geschlechter auch mit einzubeziehen, und zwar alle.

Was ist so schwer daran, zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen?

Lasst es sie doch einfach selbst entscheiden!

Es ist etwas Schönes, dass wir Menschen so verschieden sind. Und ich hoffe, dass wir eines Tages überhaupt nicht mehr über Geschlechter nachdenken müssen. Weil das „gerecht“ in „Geschlechter“ entdeckt wurde.




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