Das Nippelexperiment
Aktualisiert: 8. Juli 2021

Ich erinnere mich noch an eine Zeit, wo ich überhaupt nicht darüber nachdenken musste, dass meine Nippel zensiert werden könnten.
Als der Film Engel mit schmutzigen Flügeln 2010 in die Kinos kam, hatte ich mir zwar gerade einen Facebook – Account zugelegt, aber der diente eigentlich nur der Kontaktpflege. Wichtiger waren damals noch Interviews für das Fernsehen, Printmedien oder online – Magazine. Und niemand störte sich an meinen Nippeln.
Wenn ich Anfragen bekam, antwortete ich meistens: „Ja, ich gebe ein Interview, und zwar am liebsten nackt.“
Das passte damals einfach so herrlich zu der „sei wie du bist“ – Reise, die ich gemeinsam mit meiner Rolle Lucy aus dem Film unternommen hatte.
Wie ihr euch vorstellen könnt, freuten sich einige TV – Sender sehr. Ich gab Interviews halbnackt oder ganz nackt, wie es gerade zum Format passte, und diese durften sogar gesendet werden. Manche Beiträge erschienen sogar zur Primetime, wie zum Beispiel der Bericht über mich bei den „25 größten TV – Skandalen“ auf RTL.
Seitdem hat sich einiges verändert. Durch die zunehmende Bedeutung und Dominanz der von US – amerikanischen Konzernen betriebenen Sozialen Medien wurde auch unser eigentlich ziemlich gesundes Verhältnis zur Nacktheit (ein Bespiel: die Nackerten an der Isar und im Englischen Garten, für die München seit den 70ern berühmt ist) schleichend getrübt: Nacktheit wird heute zumindest medial als etwas Beschämendes und Anstößiges dargestellt – wenn sie nicht gerade für sexualiesierte Werbung benutzt wird.
Als Künstlerin der Performing Arts ist mein Körper ein wichtiges Ausdrucksmittel, und da ich Nacktheit als etwas Natürliches betrachte, setze ich meinen Körper gern und bewusst auch nackt in den verschiedensten Kunstformen ein, sei es in meinen Bildern, den Kinofilmen oder in meinen Videoclips. Aber auch privat laufe ich gern in durchsichtigen Oberteilen herum. Wenn ich also irgendetwas posten möchte, muss ich immer Smileys oder Balken über meine Brüste setzen. Das lenkt den Fokus unweigerlich auf meine Nippel, selbst wenn es gerade einmal um etwas anderes geht. Und obwohl ich mich bisher immer brav selbst zensiert habe und mich brav mit Balken bedeckt habe, wurden auch einige der „Balkenbilder“ schon von Facebook und Instagram gelöscht und meine Accounts tagelang gesperrt.
Über diesen Quatsch ärgere ich mich schon seit Jahren, weil ich finde, dass dadurch die Tabuisierung von Nacktheit gefördert wird und wir immer weniger wissen, wie eigentlich NORMALE (und nicht NORMIERTE) Menschen aussehen. Das Ergebnis: Menschen mit völlig gestörten Verhältnissen zu ihren Körpern, und Fitness- und Gesundheitswahn als Religionsersatz.
Mir hat mal eine Frau auf Facebook geschrieben, ich solle mehr Sport machen, dann könne man mich auch ansehen. Das habe ich mir zu Herzen genommen und mein „Fit und nackt“ -Comedyserie auf YouTube gestartet. Die Videos wurden leider auch bei einer Reichweite von mehr als 300 000 Klicks gelöscht, und der entsprechende Kanal gleich mit. That’s life. Ich habe hoch gepokert und verloren.
Ich habe also wirklich keine Modelmaße, denn ich habe keine Brüste, keine Taille und keinen Arsch, aber ich finde meinen Körper super, so wie er ist, und ich werde mich auf jeden Fall auch mit 70 noch ausziehen.
Was ich allerdings diskriminierend finde, ist, dass Männer wie Putin zum Beispiel mit ihren Oberkörpern angeben können und ich mich nicht einmal mit halbdurchsichtigen Oberteilen zeigen darf.
Als dann 2019 der Attentäter von Christchurch seine Bluttat live bei Facebook streamen konnte und das Video erst 12 Minuten nach der Tat (!) von einem User zum ersten Mal gemeldet wurde, war ich vermutlich genauso schockiert wie die meisten Menschen.
Aber Sensationsgeilheit und Voyeurismus trieben die Menschen dazu, das Video in der Hochphase der Berichterstattung einmal pro Sekunde erneut hochzuladen. (SZ.de, 19.3.2019, „Die Plattformen kommen mit dem Löschen nicht mehr hinterher“)
Erst später wurde mir klar, dass eine Menge Menschen tatsächlich weniger Probleme mit Gewalttaten als mit Nacktheit zu haben scheinen.
Das war der Hintergrund für meinen Musikclip NIPPELALARM und der Auslöser zu einem ganz besonderen Experiment. Ich habe zunächst auf Instagram zwei Fotos gleichzeitig gepostet:

Auf dem zweiten Foto sah man unzensiert, wie ich mir eine Waffe in den Mund geschoben habe. In einem dritten Post habe ich dann meine Follower gefragt, welches Foto wohl als erstes gelöscht werden würde. (siehe oberes Foto)
Die fast einhellige Meinung: das Nippelfoto. Überraschenderweise kam es anders. Aus Versehen und zur Freude aller habe ich wohl den Algorithmus ausgetrickst, da die Nippel leicht verschwommen und hinter Weizengräsern zu sehen waren.
Und das Waffenfoto wurde tatsächlich nach 15 Minuten gelöscht. Ich bekam einen Hinweis, das mein Bild aufgrund der Richtlinien, die Selbstverletzung verbieten, gelöscht worden sei, dass ich aber offensichtlich Hilfe bräuchte.
„Wir haben die Vermutung, dass Sie Selbstmord begehen möchten“, hieß es in einer Nachricht von Instagram. „Brauchen Sie Hilfe? Hilfe bekommen Sie….(und da war dann eine Webadresse eingeblendet)“. Ich war echt positiv überrascht und habe Instagram auch in meinem nächsten Post gleich gelobt.
Aber ich wollte ja wissen, was apssiert, wenn man die Nippel tatsächlich erkennt. Also habe ich ein offensichtlicheres, aber immer noch natürliches Foto mit meinen Nippeln gepostet, und das wurde sofort gelöscht, kaum dass ich es hochgeladen hatte. Ich vermute, dass kein einziger meiner Follower es überhaupt zu Gesicht bekommen hat. Dann wurde mir von Instagram angedroht, dass mein Account gelöscht würde, wenn ich noch einmal gegen die Richtlinien verstoßen würde, die die Darstellung von Nacktheit und Sexualität betreffen. Aufgrund meiner Erfahrung mit der Meldefreudigkeit einiger sehr besorgter Mitmenschen habe ich dann selbst die fröhlichen Nippel im Weizengras gelöscht.
Bei Facebook hat es übrigens in beiden Fällen länger gedauert, da wurde das Waffenfoto erst nach 4 Stunden gelöscht. Aber auch dort wurde mir Hilfe angeboten. Vielleicht hat sich also doch seit Christchurch etwas getan. Vielleicht wurden zumindest die Algorithmen zur Erkennung von Gewalt verbessert. Aber was Nacktheit betrifft, rasen wir gerade in Riesenschritten zurück in die 1950er Jahre.
Denn auch bei Facebook wurde mir mit dem Löschen meines Kontos gedroht, sollte ich noch einmal etwas Nacktes posten. Nacktheit scheint also auf jeden Fall schlimmer zu sein als ein öffentlicher Selbstmord, denn beim Waffenfoto wurde mir nicht mit dem Löschen meines Accounts gedroht. Und genau darum geht es in NIPPELALARM.
In diesem Sinne: #freethenipple ! #makenuditygreatagain #normalisnudity